Samstag, 2. Februar 2013

Der erste Tag des Monats



Die sehr spezielle Alkoholgesetzgebung in den skandinavischen Ländern ist wohl für die meisten Menschen keine neue Nachricht und hat sich sicher auch bis in die letzten trockenen Winkel der Welt herumgesprochen. Lediglich die praktischen Auswirkungen haben vielleicht noch den einen oder anderen Neuigkeitswert.

In Schweden liegt das alleinige Recht zum Verkauf des Alkohols bei der sich in Staatsbesitz befindenen Firma Systembolaget (kurz: System). Jede Art von Alkohol über einen Alkoholgehalt von 3,5 % darf nur dort verkauft werden.

Über Sinn und Unsinn dieser Regelung sollen hier nicht viele Worte verloren werden. Die Firma bewegt sich jedenfalls auf einen schmalen Grad und hat keinen einfachen Auftrag. Einerseits soll aus Gesundheitsgründen der Verkauf von Alkohol eingeschränkt und auch langfristig verringert werden.
Andererseits bringt die Firma seinem Besitzer, dem Staat, einen Zuschuss zum Haushalt (2011 Umsatz 24,4 Milliarden SEK, Gewinn: 222 Million SEK) ein, außerdem besteht ein berechtigtes Eigeninteresse daran, den Wünschen der Kunden so weit wie möglich entgegen zu kommen, um die Akzeptanz innerhalb der einheimischen Bevölkerung hinsichtlich des Monopols nicht zu gefährden, zumal die Europäische Union hier seit Jahren einigen Druck ausübt.

Ausdruck dieser schwierigen Situation, die sehr an eine Bewusstseinsspaltung erinnert, ist die von der Firma verbreitete Propaganda, dass sich alkoholbasierende Problem verringern, wenn der Alkohol von einem nicht gewinnorientierten Unternehmen verkauft wird und die Firma deshalb ein wichtigen Teil zur Verbesserung der Volksgesundheit beiträgt, sich dann aber gleichzeitig selbst für die enorme Breite des Alkoholangebots lobt.

Das scheint auch der entscheidene Schlüssel zu sein, mit dem die Herzen der Bevölkerung erobert werden sollen. Seit einigen Jahren wird das Angebot nämlich kontinuierlich ausgebaut.
Zur Zeit bietet Systembolaget zum Beispiel etwa 1500 verschiedene Biere aus aller Welt an und trifft damit wohl den Geschmack der allermeisten Kunden. Welche Firma auf dem Kontinent kann da schon mithalten?

Mit dem in den letzten Jahren entstandenen Interesse an Craftbeer, also an handwerklich gebrauten Bier, fühlt sich Systembolaget offenbar dazu verpflichtet, auch diesen Kundenwünschen gerecht zu werden, und so wird seit einiger Zeit auch dieses Angebot ständig erweitert.

In der Natur der Sache liegt es, dass diese Biere meist nur in geringen Auflagen erhältlich sind. Wenn also am ersten jeden Monats (mit Ausnahme von Januar und Juli) die allerneuesten und allerbesten handwerklich gebrauten Biere aus der ganzen Welt in die Regale gestellt werden, weiß also jeder interessierte Schwede, was die Stunde geschlagen hat.

Gestern Morgen um 8 Uhr, zwei Stunden vor der Öffnung, ergab es sich, dass ich an der Filiale in der Regeringsgatan in Stockholm ahnungslos vorbei schlenderte. Zu diesem Zeitpunkt standen bereits zehn Leute, nach schwedischer Art vorbildlich in Reih und Glied geordnet und teilweise mit Sackkarren ausgerüstet, an der Tür und warteten auf Einlass.

Kurz vor Ladenöffnung erschien ich wieder dort, um das Schauspiel nicht zu verpassen. Da erstreckte sich die Schlange bereits um den halben Block. Es fällt mir schwer, die Anzahl der anstehenden Leute zu schätzen, aber es waren doch sehr viele Menschen, die sich an einem Wochentag morgens um zehn versammelt hatten, um ihren Teil der neuesten Biere abzukriegen.

Nachdem der Laden öffnete, bewegte sich die Schlange tatsächlich halbwegs geordnet zu den Regalen. Drei Angestellte standen dort und versuchten die Ordnung aufrecht zu halten. Die Kunden verhielten sich meist hektisch, stapelten schnell die Kisten auf ihre Sackkarren oder stellten sich das gewünschte" Portfolio" zusammen. Ich will nicht ungerecht sein, aber manche von ihnen wirkten sehr gierig. Andere wiederum dachten wohl, sie hätten alle Zeit der Welt, vergaßen scheinbar die Menschenmasse hinter ihnen und lasen beispielsweise erst die Etiketten in aller Ruhe durch, bevor sie sich zu einem Kauf hinreißen ließen.

Nach zehn Minuten musste ich meinen Weg fortsetzen. Die Schlange war da nicht kleiner geworden, eher im Gegenteil.

Aber als ich am Nachmittag noch einmal vorbei schaute, waren die Regale, bis auf ein paar wenige Ausnahmen, leer gefegt. In vielen anderen Filialen des Landes soll es sich so ähnlich zu getragen haben: Menschenschlangen und leere Regale. Schwedens Craftbeer-Freunde waren gestern nicht zu bremsen.



Wer sich dafür interessiert, welche Biere für diesen Ausnahmezustand verantwortlich waren? Hier sind sie aufgelistet.
Darunter befinden, oder besser: befanden sich, viele feine Biere, wie zum Beispiel das Nebuchadnezzar von Omnipollo, Schwedens Bier des Jahres bei so gut wie allen Abstimmungen; und dessen 15 000 Flaschen nach einigen Stunden fast überall ausverkauft waren.

Am 01.März steht bei Systembolaget wieder der neueste Nachschub in den Regalen. Sollten Sie in der Nähe sein, empfehle ich eine Sackkarre.













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